Generica – Anfänge, IST-Zustand und

 

Zukunft (Biosimlars)

 

 

 

Medikamente - (c) Wikipedia - Public Domain - Generica oder Originalpräparate?

 

 

 

Generica – Anfänge, IST-Zustand und Zukunft

 

Sind Generica (auch Generika genannt) schlechter als Originalpräparate oder gleichwertig? Dazu gleich vorweg: sie sind heute meist gleichwertig, allerdings mit gewissen Einschränkungen, auf die weiter unten näher eingegangen wird.

 

Zur Rechtslage von Original- und Genericapräparaten

 

Generica sind Kopien von Originalpräparaten und dürfen erst nach Ablauf der Patente der Originalarzneimittel in den Handel bebracht werden, zudem bedürfen sie wie Originalpräparate der behördlichen Zulassung, wobei diese bei Generica allerdings wesentlich schneller erfolgt, da weitgehend auf die Unterlagen der Originalpräparate zurückgegriffen werden kann. Im Europäischen Arzneimittelrecht ist die Zulassung eines Generikum unabhängig von der Patentdauer, erst 10 Jahre nach der Zulassung des Originalpräparates möglich (Richtlinie 2001/83/EG), danach dürfen auch die Angaben des ursprünglichen Herstellers in den Beipackzettel übernommen werden. Ein wesentlicher Grundsatz aller Arzneimittelzulassungen ist u.a. die Abschätzung des Nutzen/Risikoverhältnisses.

 

Warum sind Generica wesentlich billiger als Originalpräparate?

 

Da Generica Kopien sind, fallen praktisch weder Forschungs- und Entwicklungskosten, noch Kosten für aufwendige toxikologische Untersuchungen und teure klinische Studien an – was das bedeutet wird am besten durch den normalen Werdegang eines Wirkstoffes verständlich:

 

Sobald eine Pharmafirma einen neuen Wirkstoff entdeckt, wird der Wirkstoff möglichst schnell nach dessen Erfindung meist weltweit zum Patent angemeldet, d.h. zu einer Zeit, in der noch nicht bekannt ist, ob aus der Substanz jemals ein verkaufbares Arzneimittel wird. Bis alle Prüfungen des neuen Wirkstoffes, einschließlich der klinischen Studien abgeschlossen sind, vergehen meist ca. 12 bis 15 Jahre. Erst nach Abschluss aller toxischen und klinischen Prüfungen erhält der Arzneimittelhersteller die Zulassung zum Verkauf des neuen Arzneimittels, wobei die Zulassungskriterien insbesondere bei der amerikanischen FDA (Food and Drug Administration) in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend strenger geworden sind. Für Europa gelten andere, aber nicht völlig zur FDA unterschiedliche Zulassungsbedingungen, wobei es für die Mitgliedstaaten der EU seit 1995 vereinheitlichte Verfahren (Richtlinien) zur EU-Zulassung gibt(1), so dass nicht mehr die in jedem EU-Land unterschiedlichen bürokratische Hürden überwunden werden müssen. Nicht-EU-Länder Europas können sich den EU-Richtlinien anschließen, es gibt jedoch auch nationale Zulassungsverfahren.

 

Anm.: Trotz der EU-Richtlinien spielen nationale Zulassungsbehörden auch in EU-Ländern eine wichtige Rolle, weil es oft recht unterschiedliche Haftungsbedingungen in einzelnen Ländern gibt.

 

Eine neue Substanz darf zunächst nur für die bereits zu Beginn feststehende Indikation zugelassen werden, erweist sich ein bereits zugelassenes Medikament später auch für andere Indikationen als wirksam, so muss nach entsprechenden klinischen Studien eine Zulassungserweiterung beantragt werden. Aufgrund des limitierten Patentschutzes, ist die Zeit, in der eine Firma ihr Produkt patentgeschützt verkaufen kann, daher auf wenige Jahre begrenzt. Während dieser wenigen Jahre müssen alle Forschungskosten, die in den letzten Jahrzehnten schwindelerregende Höhen erreicht haben, „eingespielt“ d.h. amortisiert werden. Bei diesen Kosten muss auch berücksichtigt werden, dass nur ein Bruchteil patentierter Substanzen alle vorgeschriebenen Prüfungen erfolgreich übersteht, es werden daher meist auch Parallelprodukte in der Hoffnung entwickelt, dass wenigsten eines der Produkte später eine Zulassung erhält.

 

All das macht neue Originalarzneimittel so teuer – die Zeiten riesiger Gewinne von Pharmafirmen sind für klassische Arzneimittel daher schon lange vorbei und nur die allergrößten Firmen können sich die Entwicklung neuer innovativer Arzneimittel überhaupt noch leisten.

 

Sind die oft von kleineren Firmen kopierten „Generica” den Originalpräparaten gleichwertig?

 

Im allgemeinen ja, die zugrunde liegenden Wirkstoffe werden oft von Drittfirmen chemisch rein produziert und der Genericaproduzent ist nur noch für die galenische Zubereitung, d.h. für die Darreichungsform verantwortlich. Da die Darreichungsform eine ganz wesentliche Rolle für die Wirksamkeit eines Präparates spielt, gab es zu Beginn der Generica Ära oft große Unterschiede bezüglich der Bioverfügbarkeit der kopierten Stoffe. Ein und dieselbe Wirksubstanz kann z.B. bei der Produktion in verschiedenen Kristallformen anfallen (Polymorphie), wobei unterschiedliche Kristallgitter obwohl diese unterschiedlichen Formen chemisch identisch sind, vom menschlichen Organismus verschieden schnell aufgenommen (resorbiert) werden können. Ebenso wichtig ist es, wie ein Wirkstoff galenisch „verpackt“ ist (Tablette, Dragée oder in einer Kapsel) und mit welchen Zusatzstoffen sie verpackt sind. Zusatzstoffe sind unbedingt notwendig, damit eine Tablette z.B. nicht auseinander fällt oder vom Körper optimal resorbiert wird. Die „Galenik“ (der Name leitet sich von dem griechischen Mediziner Galenos von Pergamon ab, um 129-216) ist eine sehr alte und besonders wichtige Wissenschaft, weil durch unterschiedliche galenische Techniken ganz verschiedene Effekte erzielt werden können. So kann z.B. durch die Einbettung kleiner Wirkstoffkügelchen in etwas schwerlöslicheren kunststoffartigen Umhüllungen innerhalb einer Tablette erreicht werden, dass der Wirkstoff nach der Einnahme nicht sofort, sondern über mehrere Stunden verteilt, aufgenommen wird (Retard-Formen mit verzögerter Wirkstoffaufnahme). Ein Wirkstoff kann so verpackt werden, dass eine säureempfindliche Substanz nicht durch die Magensäure zerstört wird, sondern unbeschädigt in den basischen Dünndarm gelangt und von dort aus resorbiert wird – es gibt unzählige Methoden, die Wirkstoffaufnahme zu verändern.

 

In den Anfängen des Genericabooms hatten kleinere Genericafirmen oft Schwierigkeiten, weil zur Prüfung der Kristallmodifikation teure Apparaturen bzw. Analysemethoden wie Röntgendiffraktometrie(2) oder Thermoanalyse(3) erforderlich sind. Auch umfassende Bioverfügbarkeitsuntersuchungen, d.h. Analysen, wie schnell ein Wirkstoff tatsächlich im Organismus wirkt, konnten sich nur große Firmen leisten. Heute werden Generica nicht nur von kleinen Pharmaherstellern, sondern auch von großen Pharmakonzernen (teils in eigens gegründeten Firmen oder in Tochterfirmen mit unterschiedlichem Firmennamen wie z.B. SANDOZ als Tochterfirma von Novartis) erzeugt, weil auch große Firmen auf das Geschäft mit Generica zur Finanzierung ihrer eigenen Forschung an neuen Produkten nicht mehr verzichten können. Doch auch bei kleineren Genericaherstellern kann man bezüglich der Produktsicherheit heute meist beruhigt sein, weil sie die Produktreinheit (einschließlich der richtigen Kristallmodifikation) vom Dritterzeuger garantiert bekommen und weil sie die Darreichungsform meist ebenfalls gut kopieren. Die Unterschiede sind heute – mit wenigen Ausnahmen – eher geringfügig, Bioverfügbarkeitsunterschiede von 85 – 125 % (verglichen zum Originalpräparat) gelten als erlaubt.

 

Der IST-Zustand - entsprechen Generica dem jeweils herrschenden neuesten Wissensstand?

 

Nein – sie können immer nur dem Wissensstand entsprechen, der demjenigen vor ca. 25 (oft wesentlich mehr Jahren) entsprach, weil sie ja erst dann kopiert werden dürfen, wenn die Patentlaufzeit abgelaufen ist. Das spielt bei vielen Krankheiten keine Rolle, denn die meisten Arzneimittel hatten auch schon vor diesen 25 Jahren einen hohen wissenschaftlichen Standard.

 

Über die Zukunft von Generica - was Gesundheitsministerien oft nicht wissen

 

Die Zeit von ca. 1955 –1985 war für die Entwicklung klassischer Arzneimittel eine überaus fruchtbare Zeit. Vielfach entwickelten unterschiedliche Arzneimittelfirmen Medikamente ähnlicher chemischer Strukturklassen für die gleiche Indikation/Anwendung. Dies hatte insofern Vorteile, weil sich einzelne Präparate doch hinsichtlich ihrer Anwendungsbreite, der Wirkungsintensität oder im Nebenwirkungsprofil unterschieden. Davon profitieren Generica-Hersteller (aber auch PatientInnen) heute noch.

 

Warum ging diese Entwicklung zu Ende?

 

Als Folge der stetig wachsenden Erkenntnisse für Toxizitätsprüfungen, ausgelöst durch den „Conterganskandal“ 1961/1962 (der zumindest wissenschaftlich kein Skandal war, da der Wirkstoff Thalidomid nach dem damaligen Wissensstand geprüft wurde), stiegen die Forschungs- und Entwicklungskosten bei Neuentwicklungen derart, dass der Weltmarkt für mehrere Präparate der gleichen chemischen Strukturklasse praktisch nicht mehr gewinnbringend aufgeteilt werden konnte und daher nur noch ganz wenige Produkte mit zu erwartender Weltmarktführerschaft weiterentwickelt wurden. Heute ist selbst die Entwicklung solcher ehemals innovativen „klassischen“ Arzneimittel praktisch zum Erliegen gekommen. Das heißt aber auch, dass es bald keine neuen preiswerten Generica mehr geben wird und der moderne Wissenstand und daraus abgeleitete Therapien gegenüber veralteten Wirkungsprinzipien immer weiter zu Ungunsten der PatientInnen auseinander klaffen – ein Faktum, dessen sich die verantwortlichen Gesundheitsbehörden nach Ansicht des Verfassers noch gar nicht deutlich genug bewusst sind.

 

Was kommt nach den Generica?

 

Die Nachfolge der Generica ist in Form sogenannter Biosimilars bereits voll im Gange. Biosimilars sind biotechnologisch erzeugte protein-basierte Nachahmer-Arzneistoffe, die nach Ablauf der Patentzeit analog zu herkömmlichen Generica von anderen Firmen nachgeahmt werden können.

 

Biosimilars unterscheiden sich in zwei Punkten von Generica:

 

1. Anders als bei den molekülstruktur-definierten Arzneimitteln unterscheiden sich Biosimilars unterschiedlicher Firmen voneinander, weil aufwendigere Zulassungs- und Überwachungverfahren als bei Generica erforderlich sind. Ursache sind die unterschiedlichen Organismen, auf denen das Zielprotein exprimiert wird(4). Große Unterschiede sind vor allem im Glykolysierungsmuster vorhanden und den dafür typischen Unterschieden hinsichtlich der Pharmakinetik. Es ist daher unzureichend oder sogar falsch, Biosimilars häufig auch als „Biogenerica“ zu bezeichnen.

 

2. Da die Herstellungkosten von Biosimilars und besonders deren Aufreinigung und Überwachung ähnlich hoch wie bei der Herstellung in der ursprünglichen Herstellerfirma sind, kann nicht damit gerechnet werden, dass bei Biosimilars eine vergleichbare Verbilligung wie diejenige von Generica gegenüber Originalpräparaten zu erwarten ist.

 

Resumée: Da inzwischen nur noch wenige Großkonzerne sich die immer aufwendigere, aber auch erfolgversprechende Forschung mit monoklonalen Antikörpern oder gentechnologisch hergestellten Therapeutica gegen schwere Erkrankungen wie Krebs, Alzheimer, HIV und andere bisher unheilbare Erkrankungen leisten können, läuft alles auf eine „Zweiklassenmedizin“ hinaus, die in Ländern wie Deutschland oder Österreich zwar strikt geleugnet wird, de facto jedoch nachweislich bereits existiert – eine für Krankenversicherungen und Gesundheitsministerien, besonders aber für PatientInnen unerfreuliche Situation!

 

 

(1) Es gab auch schon vor 1995 eine Harmonisierung von Zulassungsrichtlinien für Nordamerika, Japan und Europa, sowie einigen anderen Ländern, wobei die Zulassung in Europa dann besonders schnell erfolgt, wenn ein Arzneimittel den strengen Richtlinien der FDA genügt. In der EU ist gegebenenfalls auch eine Patentverlängerung von 20 auf 25 Jahre möglich.

 

(2) Kristallgitter lässt sich durch Röntgenanalyse (Röntgendiffraktometrie) bestimmen. Dabei wird ein Röntgenstrahl entweder um den feststehenden Kristall gedreht, oder der Kristall dreht sich bei feststehender Röntgenquelle. Die Röntgenreflexe an den Gitterebenen des Kristalls lassen ein Kristallgitter genau erkennen, bei exakten Analysen kann aus den Reflexen sogar die chemische Struktur bestimmt werden.

 

(3) In der Thermoanalyse (DSC = Differential Scanning Calorimetry) lassen sich beim Erwärmen einer Substanz alle physikalischen Prozesse erkennen, die entweder Wärme abgeben oder Wärme verbrauchen. Hier sind in erster Linie der Schmelzpunkt oder der Übergang von einer Kristallmodifikation in eine andere zu erwähnen. Beim Erreichen des Schmelzpunktes wird Schmelzwärme verbraucht um den Kristall vom festen in den flüssigen Zustand (Schmelze) zu überführen. Aber auch der Übergang eines energiereichen Kristallgitters (unstabiles Gitter) in ein energieärmeres Gitter (stabiles Gitter) kann in der Thermodiffraktometrie erkannt werden. Die physikalisch unterschiedlichen Formen von Kristallen sind für die Bioverfügbarkeit eines Arzneimittels oft ausschlaggebend.

 

(4)  Genexpression, Expression oder Exprimierung, bedeutet u.a. die Ausprägung des Genotyps, d.h. der genetischen Information (Gen, DNA) zum Phänotyp eines Organismus bzw. einer Zelle.

 

(AR)

 

(24.12.2012 – Neufassung einer erstmals 2010 veröffentlichten Version)

 

Pharmaka sind Wirkstoffe für therapeutische oder diagnostische Zwecke, allerdings gilt der von Paracelsus (1493-1541) geprägte Satz:

 

„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei“.

 

Paracelsus machte sich bei seinen Vorlesungen in Basel oft unbeliebt weil er sie 1). auf deutsch hielt und 2). die vorherrschende Meinung der Humoralpathologie des Galen oft als Bücherweisheit medizinischer Gelehrter kritisierte.

 

 

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© Dr. Alfred Rhomberg