Züchtung von „Mini-Gehirnen“ aus Stammzellen

 

 


 

Im Fachjournal „Nature“ wurde am 19.9.2013 (bzw. am 28.8.2013 online) über ein durch Stammzellen gezüchtetes „Mini-Gehirn“ (Titel: „Cerebral organoids model human brain development and microcephaly“) berichtet. Diese Nachricht wurde in vielen Zeitungen verbreitet und dadurch bei manchen Lesern der Eindruck erweckt, als stünde die Forschung direkt vor der Züchtung menschlicher Gehirne – ein Eindruck, der von der Hauptverfasserin des Artikels Madeline A. Lancaster in ihrer Arbeit keineswegs so dargestellt wurde.

 

Wie das Team um Madeline Lancaster und Jürgen Knoblich vom Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie mitteilt, entstanden die Strukturen aus menschlichen embryonalen Stammzellen und in weiteren Experimenten aus iPS-Zellen (s. Anm.), die zu Stammzellen umprogrammiert wurden(1).

 

Anm.: Im Gegensatz zu embryonalen Stammzellen sind iPS-Zellen induzierte pluripotente Stammzellen, weil der Anstoß zur Differenzierung gezielt von außen kommt, „pluripotent“ deswegen, weil aus zurückgepolten Stammzellen nur noch verschiedene Zelltypen entstehen können und sie nicht mehr „omnipotent“ wie embryonale Stammzellen nach den ersten Zellteilungen sind.

 

Die gezüchteten Mini-Gehirne dienen in erster Linie als in vitro Modell zur Testung  toxischer Einflüsse von Pharmaka, zur Erforschung von Krankheiten und zum Studium

der Entwicklung des menschlichen Gehirns in den ersten Lebenswochen eines Embryos. Eigentlich handelt es sich nicht um echte Mini-Gehirne und die Forscher sprechen daher von "cerebralen Organoiden", mit deren Hilfe sich Entwicklungsstörungen und Krankheiten besser erforschen lassen als an Mäusen.

 

Wie werden die „Mini-Gehirne“ hergestellt?

 

Stammzellen besitzen die Fähigkeit zur Selbstorganisation und unter geeigneten Bedingungen lagern sie sich zu dreidimensionalen Geweben zusammen, was durch einen sich drehenden Bioreaktor durch die dadurch bessere Nährstoffversorgung erleichtert wird. Ihre endgültige Größe erreichten die Organoide in etwa zwei Monaten und sind dann offenbar unbegrenzt haltbar. Die Größe der Organoide ist jedoch begrenzt, weil sie über keine eigenen Blutgefäße verfügen, um Sauerstoff und Nährstoffe ins Innere zu transportieren. Trotzdem zeigten Untersuchungen, dass die Organoide in verschiedene Bereiche abgegrenzt sind, wie dies auch bei Vorder-, Mittel- und Hinterhirn der Fall ist. Einzelne entfernte Bereiche standen sogar miteinander in Verbindung, allerdings kommentiert der deutsche Neuropathologe und Stammzellenforscher Oliver Brüstle(2), Universität Bonn die Arbeiten des Teams um Lancaster wie folgt:

„Innerhalb der Organoide seien die verschiedenen Hirnbereiche zufällig verteilt. Sie besäßen nicht dieselbe Form und räumliche Organisation wie im Gehirn. Mit der Arbeit sei aber eindrucksvoll gezeigt, dass solche Kulturen in der Entwicklungsbiologie und in der Biomedizin als Hilfsmittel eingesetzt werden könnten“.

 

Ein Anwendungsbeispiel wird von Lancaster et al. in der Nature-Publikation bei der Erforschung der Mikrozephalie vorgestellt. Dabei handelt es sich um eine Entwicklungsstörung, bei welcher der Kopf eines Menschen einen zu kleinen Kopfumfang aufweist. Durch Entnahme von Hautzellen eines Mikrozephalie-Patienten und Umwandlung zu iPS Zellen, Züchtung von Organoiden und Vergleich mit entsprechenden Organoiden, die aus gesunden Zellen gewonnen wurden, konnte gezeigt werden, dass in den Mikrozephalie-Organoiden deutlich weniger Vorläuferzellen und mehr bereits ausdifferenzierte Nervenzellen vorhanden waren.

 

Die Arbeiten lassen die Hoffnung zu, dass auch andere Hirnentwicklungsstörungen (z.B. Autismus) besser verstanden werden. 

 

(AR)

(22.9.2013)

 

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(1) http://www.nature.com/nature/journal/v501/n7467/full/nature12517.html

 

(2) http://www.nature.com/nature/journal/v501/n7467/full/nature12552.html

 

Pharmaka sind Wirkstoffe für therapeutische oder diagnostische Zwecke, allerdings gilt der von Paracelsus (1493-1541) geprägte Satz:

 

„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei“.

 

Paracelsus machte sich bei seinen Vorlesungen in Basel oft unbeliebt weil er sie 1). auf deutsch hielt und 2). die vorherrschende Meinung der Humoralpathologie des Galen oft als Bücherweisheit medizinischer Gelehrter kritisierte.

 

 

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© Dr. Alfred Rhomberg