Medizinische Forschung

 

 

 

 

 

 

Allgemeine Betrachtungen zur medizinischen Forschung, Gentechnik- und Stammzellenforschung

 

In der Geschichte der Biowissenschaften stand die Bevölkerung selten so kritisch neuen Erkenntnissen gegenüber wie bei der Gentechnik- und Stammzellforschung. Der Ruf nach Gesetzen welche die Forschung auf diesen Gebieten regeln oder sogar verbieten sollen, ist daher entsprechend groß, wobei grundsätzlich ethische Aspekte im Vordergrund stehen.

 

Warum legen wir auf gesetzliche Regelungen zur Festlegung bestimmter ethischer Vorstellungen so viel wert? Vermutlich deswegen, weil wir vor manchen Dingen, die wir nicht genau verstehen, Angst haben und Gesetze zu einer Art „Behaglichkeit“ beitragen, sodass wir uns trotz unserer Ängste zurücklehnen und uns darauf berufen können, dass dieses oder jenes aus ethischen Gründen nicht erlaubt ist. Da gelten plötzlich auch kirchliche Ethikvorstellungen wieder, selbst wenn man sich persönlich von der Kirche abgewendet hat.

 

Was ist Ethik?

 

Es gibt dazu so viele Vorstellungen, dass auf Einzelheiten hier nicht näher eingegangen werden kann. Neben vielen theoretischen und philosophischen Ansätzen, ist nachfolgend eine eher pragmatische (etwas gekürzte) Definition aus der Wikipedia-Enyklopädie zum Stichwort Ethik wiedergegeben:

 

„Die Ethik ist von ihrer Zielsetzung her eine praktische Wissenschaft. Es geht ihr nicht um ein Wissen um seiner selbst willen, sondern um eine verantwortbare Praxis. Sie soll dem Menschen (in einer immer unüberschaubarer werdenden Welt) Hilfen für seine sittlichen Entscheidungen liefern. Dabei kann die Ethik allerdings nur allgemeine Prinzipien guten Handelns… für bestimmte Typen von Problemsituationen begründen. Die Anwendung dieser Prinzipien auf den einzelnen Fall ist im allgemeinen nicht durch sie leistbar, sondern Aufgabe der praktischen Urteilskraft und des geschulten Gewissens. Aristoteles vergleicht dies mit der Kunst des Arztes und des Steuermanns. Diese verfügen über ein theoretisches Wissen, das aber situationsspezifisch angewendet werden muss. Entsprechend muss auch die praktische Urteilskraft allgemeine Prinzipien immer wieder auf neue Situationen und Lebenslagen anwenden. Damit spielt für die richtige sittliche Entscheidung neben der Kenntnis allgemeiner Prinzipien die Schulung der Urteilskraft in praktischer Erfahrung eine wichtige Rolle.“ (Ende des Zitates)

 

Wie auch immer – ethische Grundlagen zu definieren oder gar Ethikgesetze zu erlassen, ist ein schwieriges Thema. Wer bestimmt, was ethisch richtig ist? Wir berufen uns meist – wie auch im Falle der Gentechnik oder Stammzellenforschung auf wissenschaftliche Studien (auf was sonst?). Das führt in mehrfacher Hinsicht unweigerlich zu folgenden Konflikten: 1.) Um die Gefahren einer neuen Technologie beurteilen zu können, muss man zuerst Forschung auf diesem Gebiet betrieben und entsprechende Argumente oder Gegenargumente erarbeitet haben 2.) Wie gesichert sind Studien bzw. Forschungsergebnisse und gibt es nicht auch Gegenstudien? – wie gesichert sind diese? 3.) Wissenschaftliche Forschung bleibt niemals stehen, gerade auf den genannten Gebieten galoppiert der wissenschaftliche Fortschritt geradezu. Was heute gilt, ist morgen nicht mehr aktuell. Und dann die Frage, wie Ethik-Gesetze zustande kommen. Überspitzt formuliert: wie alle Gesetze, d.h. die Parlamentarier beschließen oft aus Populismus etwas, das von einem großen Teil der Bevölkerung so gewollt wird, wobei die sachliche Begründung solcher Gesetze aus wissenschaftlichen (oft kontroversen) Meinungen so konstruiert wird, dass eine parlamentarische Mehrheit dafür zustande kommt. Das erinnert im Falle der Gentechnologie oder Stammzellenforschung fatalerweise ein wenig an den Begriff der „gesunden Volksmeinung“, die früher z.B. einmal dafür vorgeschoben wurde, festzulegen, was „entartete Kunst“ bedeutet.

 

Bevor etwas näher auf ethische Überlegungen zur Genforschung und insbesondere zur Stammzellforschung eingegangen wird, sollen einige wenige Beispiele aus der Medizingeschichte vorangestellt werden.

 

Die erste Herztransplantation durch Christaan Barnard (1967) haben viele inzwischen vergessen oder sie haben zu dieser Zeit noch nicht gelebt. Der Versuch einem todgeweihten Patienten ein fremdes Herz zu implantieren sorgte jedenfalls für Aufregung, besonders als der erste Patient nach 18 Tagen starb und eine Diskussionslawine in Gang setzte, neue ethische Richtlinien gesetzlich zu verankern. Nicht nur die Gesellschaft, auch die Ärzteschaft war zu dieser Zeit gespalten. Obwohl die Herztransplantation und inzwischen auch Lebertransplantationen und anderer Organe seit vielen Jahren fast zum selbstverständlichen, medizinischen Alltag gehören, gibt es ein verbindliches Transplantationsgesetz in Deutschland erst seit 1997. In den europäischen Ländern ist die Organspende und Transplantation in ihren Grundprinzipien einheitlich geregelt, so ist z.B. der Hirntod als Zeitpunkt des Todes akzeptiert, ab dem eine Organentnahme zulässig ist. Hinsichtlich des Einverständnisses zur Organentnahme gibt es jedoch unterschiedliche Regelungen. So dürfen in Österreich Spenderorgane nach dem Tod grundsätzlich entnommen werden, sofern keine Erklärung vorliegt, dass ein Mensch nach seinem Tode nicht mit einer Organspende einverstanden ist. In Deutschland ist umgekehrt die Organspende nur erlaubt, wenn ein Mensch vor seinem Tode dazu die Einwilligung gegeben hat. Dass Österreich in der Zahl erfolgreicher Transplantationen einen Spitzenplatz einnimmt, liegt offenkundig an der österreichischen Regelung und der daraus resultierenden größeren Zahl an Spenderorganen.

 

Ein anderes Beispiel: Die heute selbstverständlichen Bluttransfusionen haben eine sehr lange Geschichte, deren Misserfolge jedoch wegen der mangelnden Kenntnis der Bevölkerung kaum bekannt waren (es gab ja früher keine Medien, die darüber berichteten). Immerhin begann die Geschichte der Bluttransfusion bereits um 1500 unter haarsträubenden Bedingungen. Bei der ersten 1818 durchgeführten Transfusion von Mensch zu Mensch starb der Patient und es folgten viele Fehlschläge, sodass noch 1874 angesehene Ärzte wie Landois oder Billroth wegen der vielen Fehlschläge Bluttransfusionen zu verurteilen begannen. Als dann der Wiener Pathologe Karl Landsteiner das AB0 Blutgruppensystem und später weitere Blutuntergruppen entdeckte (Nobelpreis 1930) und Edwin Cohen 1940 eine Methode entwickelte, Blutplasma in bestimmte Fraktionen zu zerlegen wurde die Zahl der Fehlschläge deutlich reduziert aber erst 2001 (!) ist die Leukozytendepletion (Entfernung der weißen Blutkörperchen) verbindlich. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden ferner Tests zur Vermeidung von Hepatitis B, C und HIV Viren entwickelt. Heute werden nach Möglichkeit kaum noch Vollbluttransfusionen durchgeführt, sondern die einzelnen Blutbestandteile je nach Erfordernis infundiert. Transfusionen sind durch ein ziemlich detailliertes Transfusionsgesetz geregelt, das auch beinhaltet, dass Bluttransfusionen selbst im Ernstfall bei Verweigerung der Patienten nicht durchgeführt werden dürfen.

 

Anm.: Obwohl auch Blut als Organ gilt, ist das Transplantationsgesetz für Blut, Blutbestandteile und Blutprodukte nicht anwendbar.

 

Der Berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch erlitt bei seinen ersten Operationen am offenen Thorax (in der Unterdruckkammer) mehrere Misserfolge, die den Tod des Patienten zur Folge hatten. Heute sind Thoraxoperationen (allerdings nicht in der Unterdruckkammer, sondern umgekehrt durch Erhöhung des Druckes in der Lunge) ganz selbstverständliche Eingriffe.

 

Warum hier so ausführlich über heute selbstverständliche medizinische Eingriffe berichtet wird? Weil bei jedem wissenschaftlichen Fortschritt, Fehlschläge über längere Zeit niemals ausgeschlossen werden können und weil neue wissenschaftliche Erkenntnisse wie z.B. in der Gentechnik und bei der Stammzellenforschung kaum ein Jahrzehnt alt und daher noch keineswegs in dem Stadium sind, dass sie – außer in hoffnungslosen Fällen mit Einverständnis des Patienten – gelegentlich angewendet werden. Gute Erfolge mit Stammzellen gibt es allerdings seit einiger Zeit (ca. 1970) bei der bösartigen Leukämie.

 

Viele werden einwenden, dass sich die möglichen negativen Dimensionen – insbesondere bei der Gentechnik – gegenüber früheren Entdeckungen vergrößert haben. Das ist richtig, jedoch sollte man auch berücksichtigen, dass es gerade deswegen umso wichtiger wäre, sich mit einer solchen Technik zu beschäftigen. Nur wer eine Technik möglichst genau kennt, kann sie beherrschen – denn leben müssen wir damit, wenn wir keine „glücklichen“ Einsiedler (ohne Gentechnik- und Stammzellforschung) werden wollen, die ohnmächtig zusehen müssen, wie unsere Partner, Kinder oder wir selbst an einer schweren Krankheit sterben. Ethische Vorstellungen hören – selbst wenn sie noch so gut gemeint sind – meist auf, wenn es einen selbst betrifft.

 

Aus dem vorher gesagten soll nicht der Schluss gezogen werden, dass es keinerlei gesetzlichen Regelungen über Gentechnik und Stammzellenforschung geben darf. Gesetze enthalten ja auch in anderen Bereichen Paragraphen, die eine Schädigung anderer oder der Umwelt strafbar machen. Was gemeint ist, dass Gesetze, sofern sie wissenschaftliche Forschung bzw. deren Anwendung betreffen, schneller an den wissenschaftlichen Fortschritt angepasst werden müssen. „Mord“ oder „Diebstahl“ sind Straftaten, an denen sich bis heute – abgesehen von der Ahndung dieser Straftaten nichts an der Tatsache verändert hat, dass sie verboten sind. Zu strenge gesetzliche Vorschriften – besonders auf dem Gebiet der Stammzellforschung – könnten später einmal aber auch als eine Art „fahrlässiger“ Tötung interpretiert werden, wenn es inzwischen in anderen Ländern Methoden gibt, Menschenleben mit Hilfe neuer medizinischer Erkenntnisse zu retten.

 

Wissenschaftliche Forschung sollte daher durch Gesetze nicht behindert werden, wenn dadurch ein Nutzen wahrscheinlich ist. Anders ist es mit der Frage, ab wann Forschungsergebnisse so gesichert sind, dass der Nutzen deutlich höher als eventuelle Schäden ist. Hier müssen gesetzliche Regeln die Anwendung neuer Techniken verbieten, wenn der Nutzen noch nicht genügend erwiesen ist.

 

(AR)

 

(17.11.2012, redigierte Version der Erstfassung 2008)

 

Pharmaka sind Wirkstoffe für therapeutische oder diagnostische Zwecke, allerdings gilt der von Paracelsus (1493-1541) geprägte Satz:

 

„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei“.

 

Paracelsus machte sich bei seinen Vorlesungen in Basel oft unbeliebt weil er sie 1). auf deutsch hielt und 2). die vorherrschende Meinung der Humoralpathologie des Galen oft als Bücherweisheit medizinischer Gelehrter kritisierte.

 

 

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© Dr. Alfred Rhomberg